Buch | Regie | Kamera | Ton | Montage | Produktion
Ich will dich – Begegnungen mit Hilde Domin
Als ich Hilde Domin das erste Mal besuchte, in ihrer zauberhaften Wohnung mit dem malerischem Blick über Heidelberg, öffnete sie mir die Tür und war so da, so quicklebendig da, dass ich fast erschrak. Ihre Präsenz empfand ich als das Inspirierendste, was ich je erlebt hatte. Ich war wie verzaubert von dieser kleinen, energischen Frau mit den hochgesteckten weißen Haaren, den flinken Beinen, der hellen Stimme, die mich so wahnwitzig keck und selbstbewusst durch ihre Bibliothek führte. Auch später, nach ausgiebigen Gesprächen und gemeinsamen Unternehmungen, schien sie, die meine Urgroßmutter hätte sein können, stets beweglicher, ausdauernder und frischer zu sein als ich selbst. Und sie eröffnete mir ihre Welt – die vergangene, geprägt von den Schicksalsschlägen des letzten Jahrhunderts, ebenso wie ihren Alltag in der Gegenwart. Ich durfte mit ihr Mozart, Bach und Mendelssohn-Bartholdy hören, Kalbsleber mit Pellkartoffeln, Zwiebeln und Apfelmus kochen, im Wald spazieren fahren, mit ihr einkaufen, alte Fotos angucken und ihr abends zum Einschlafen bei einer heißen Milch mit Honig besonders grausame indische Märchen vorlesen – je schauerlicher, desto besser. Wenn ich sie – wie fast jeden Monat in ihren letzten zwei Lebensjahren – für ein langes Wochenende besuchte oder mit ihr auf Lesereisen ging, erwartete sie wie selbstverständlich, dass ich ihr zu Diensten stand, vom morgendlichen Klingeln des Weckers bis zum Mondschein am Abend. (Auszug aus Anna Ditges’ Laudatio zum 100. Geburtstag von Hilde Domin)
Hilde Domin (1909–2006) gilt als die bedeutendste deutsche Lyrikerin ihrer Generation. Ihre Gedichte wurden in mehr als zwanzig Sprachen übersetzt und mit internationalen
Preisen geehrt. Ich will dich – nach dem Titel eines ihrer Gedichte – ist der erste
Dokumentarfilm über das außergewöhnliche Leben und Werk der in Köln geborenen
Jüdin, die mit 42 Jahren im Exil zu schreiben begann und im Nachkriegsdeutschland
als Dichterin der Rückkehr zu Ruhm gelangte.
Durch die hartnäckige Auseinandersetzung mit ihrer Protagonistin gelingt Anna Ditges ein intimes Porträt der Grande Dame der deutschen
Nachkriegsliteratur. Sie zeigt Hilde Domin, wie sie sie erlebt hat: sensibel, schroff und
eigenwillig, eine Egozentrikerin mit bissigem Humor und voller Charme – und zunehmend
liebevoll gegenüber der jungen Frau mit der Kamera.
Dokumentarfilm | 2007 | 95 min | punktfilm Anna Ditges | WDR | SWR | 3sat | rbb | Filmstiftung NRW | Film Kino Text Filmverleih
choices Köln
EMMA
Durch Zufall stößt die 26-jährige Filmemacherin Anna Ditges in einer Buchhandlung auf
Hilde Domins ersten Gedichtband mit dem Titel Nur eine Rose als Stütze. Zutiefst
bewegt von der Kraft und Klarheit der lyrischen Sprache der Domin, nimmt sie
Kontakt zu der 95-Jährigen auf. Mit ihrer Kamera und einem Strauß Rosen macht sie
sich auf den Weg nach Heidelberg, wo die Dichterin nach Jahren des Exils ein neues
Zuhause gefunden hat.
Das Kennenlernen der beiden verläuft überraschend: Die Grande Dame der deutschen
Nachkriegsliteratur, von Journalisten gefürchtet wegen ihrer Unzugänglichkeit und
Arroganz, empfängt die junge unbekannte Filmemacherin mit Wohlwollen und Neugier.
Gleich bei der ersten Begegnung zeigt Hilde Domin der filmenden Besucherin ihre
Wohnung: die Wände voller Bücher, die hölzerne Taube, die einmal mit ihr begraben
werden soll, die Fotos der drei wichtigsten, längst verstorbenen Menschen in ihrem
Leben – und unzählige Rosen. Anna Ditges ist fasziniert: Für sie, die Hilde Domins
Urenkelin sein könnte, verkörpert die Zeitzeugin ein Stück deutscher Kultur
und Geschichte.
Kölner Stadt-Anzeiger
Selbstporträt Erster Kuss mit Hildes großer Liebe Erwin
Über einen Zeitraum von zwei Jahren, bis zu ihrem Tod im Februar 2006, besucht die
Filmemacherin Hilde Domin regelmäßig in Heidelberg, fährt mit ihr auf Lesereisen und
in den Urlaub. Die Kamera wird zur ständigen Begleiterin der beiden ungleichen Frauen:
Anna Ditges beobachtet den privaten und den beruflichen Alltag von Hilde Domin, filmt
sie beim Schreiben, Telefonieren, Vogelfüttern und beim Modellsitzen für ein Porträt.
Sie fragt, diskutiert, hakt nach und kommt auf diese Weise der Dichterin erstaunlich
nah. Im Laufe ihrer Begegnungen mit Hilde Domin entwickelt sich trotz des Altersunterschieds von fast siebzig Jahren – eine enge, nicht immer konfliktfreie Beziehung
zwischen Filmemacherin und Protagonistin.
Seinen größten Erfolg feierte Ich will dich – Begegnungen mit Hilde Domin im deutschen Kino: Seit November 2007 sahen über 33.000 Zuschauer*innen den Film auf der großen Leinwand.
Auszeichnungen
Förderpreis des Landes Nordrhein-Westfalen Nachwuchspreis Film 2009
DEFA Nachwuchspreis 2008
Kölner Medienpreis Kategorie TV 2008
New Talents Junge Biennale Köln 2008
Bild-Kunst Schnitt Preis Dokumentarfilm Nominierung 2008
DOKU.ARTS Amsterdam 2008
Filmbewertungsstelle Prädikat besonders wertvoll 2008
Docaviv Tel Aviv 2008
Festival International du Film sur l’Art Montreal 2008
Deutscher Filmpreis Vorauswahl 2008
Kasseler Dokfest Wettbewerb 2007
Filmfestspiele Biberach Dokumentarfilmpreis 2007
Prix Europa Berlin/Potsdam 2007
Poetenfest Erlangen Literaturfestival 2007
Filmfest München Weltpremiere 2007
Frankfurter Allgemeine Zeitung